Hochdeutsch Peter Eckert Vom Ausgehen oder: Anfragen an eine Frau Mama Betrachtungen zu einer Leerformel und zu einem Lehrstück aus dem Kinderbuchklassiker Konrad, sprach die Frau Mama, ich geh aus, und du bleibst da. Das wissen wir, aber "Ich geh aus", was, bitte, soll das heißen? Der Satz ist doch unvollständig, oder? Liebe gnädige Frau Mama, man sagt nicht einfach nur: "Ich gehe aus". Gehen wir doch der Vollständigkeit halber davon aus, es heiße vielmehr: "Ich gehe davon aus". Und nach einem gedachten Komma sagt man dann auch noch, wovon man ausgeht. In den weitaus meisten Fällen ist nämlich davon auszugehen, dass die anderen nicht nur nicht wissen, wohin, sondern auch wovon man ausgeht. Anders bei Kerzen und Herzen. Die einen gehen aus vom großen Wind oder vom kleinen Pusten. Die anderen gehen aus und suchen Freud. Menschen aber gehen nicht aus, nur weil sie Wind machen, dann schon eher freudsuchenderweise, ein Sieg für den sangesfreudigen Mund. "Ich gehe davon! Aus!" War es das, was Sie meinten? Oder war es doch nur ein Ausgang bis zum Wecken? Und wie vollzog sich dieser Ausgang? Durch den Ausgang des Zimmers? Sie sehen, die Fragen gehen mir vorerst noch nicht aus! Muss ich davon ausgehen, dass sie unbeantwortet bleiben? Einigermaßen sicher scheint mir, hochverehrte Frau Mama, wovon Sie ausgingen, als Sie ausgingen: Sie gingen davon aus, dass Ihr Konrad aus Angst vor dem schnippelnden Schneider das Daumenlutschen unterließe. Falsch gedacht, weil nämlich Konrad davon ausging, Sie hätten das Ganze erfunden, weil Ihnen die Argumente ausgingen. Es ist bekannt, nein, nicht wovon die Geschichte ausging, sondern wie. Konrad verlor seine Daumen, weil er einem Sachverhalt nicht auf den Grund ging, sondern einfach davon ausging, dass die Dinge so lägen, wie er glaubte, dass sie liegen sollten. Redensartig gesprochen: Da war mal wieder der Wunsch der Vater des Gedankens. Davon ist auszugehen. Bliebe ein letztes Rätsel, das geht mir nicht aus, aus dem Sinn nämlich: Wären Sie, Frau Mama, auch ausgegangen, wenn sie davon ausgegangen wären, Konrad werde, überzeugt von der Folgenlosigkeit solchen Handelns, verbotswidrig doch am Daumen lutschen, wenn Sie ferner davon ausgegangen wären, der Schneider käme tatsächlich, und wenn Sie schließlich auch noch davon ausgegangen wären, dass der Schneider wie angedroht schnitte, wenn er käme, weil Konrad lutschte? Gewiss, als einigermaßen hirngesunder Mensch brauchten Sie davon nicht auszugehen. Aber vielleicht hätten Sie die Theorie bedenken sollen, das alles geschehen kann, wenn es erst mal gedacht oder gar ausgesprochen ist.. Also: Die Folgen sind bekannt. Wir lernen: Geh vom Schlimmsten aus. dann kannst du allenfalls positiv überrascht werden! Sei's drum! Nicht bekannt ist, ob Ihnen, liebste Frau Mama, als Sie sahen, was sie angerichtet hatten, indem Sie ausgingen, weil Sie von etwas ausgingen, was zwar angehen mochte, aber nicht zutraf, vielleicht vor lauter Gram die Haare davon ausgingen. Ich könnte, wie diese Betrachtung zeigt, von vielerlei ausgehen. Ich denke, es mag angehen, wenn ich für meinen Teil davon ausgehe, dass ich davon zumindest ausgehen kann. Aber ein Problem müsste ich angehen, weil ich weiß, welches Schicksal mir droht, wenn dieser perhorreszierenden Redewendung: "Ich gehe davon aus" nicht bald die Puste ausgeht. Ich gehe nicht mehr davon aus, sondern ich gehe davon ein. Und Sie? Peter Eckert Weile an dieser Quelle frei nach Carl Michael Bellmann Weile an dieser Quelle, gleich hinter jener Bodenwelle. Eile zu dieser Stelle, so licht und helle, am Waldessaum. Still murmelt diese Quelle, es springt davon das Bächlein schnelle. Und in der frohen Welle, eilt die Forelle, es ist ein Traum.      Wie wundermild      ist dieser Platz auf Erden.      O holdes Bild!      Nichts soll uns hier vertreiben,      hier woll'n wir bleiben.      Hier ist gut sein. Sieh nur, eine Matratze, sie diene uns als Untersatze. Ach nein, im Regen hat se, an jenem Platze gelegen schon hier. Doch dieser Wasserkessel, er diene löblich mir als Sessel. Es ist nur die Brennessel, welche gar hässel- lich es wehret mir.      Zum Greifen nah      von einem Kraftfahrzeuge      der Reifen da.      Wohlan, Geselle nütze      als weiche Stütze      meinem Fuß.  Herrlich ist die Parzelle. Nun reiche mir die Frikadelle. Sie hat schon eine Delle, an dieser Stelle hält Ketchup gut. Reich den Lyoner schnelle, jedoch entferne erst die Pelle. Amora-Senf, er quelle hervor an's Helle gar wohlgemut.      Jetzt vom Baguett',      ein Stück herabgebrochen.      Ein Kotelett      diene alsdann zur Speise.      Für die Ameise      haben wir Paral. Au weia, meine Hose! Herrjeh, jetzt haben wir die Chose. Denn dieses Bieres Dose stand nicht nur lose unter Druck. Zum Glück ist hier noch eine. Deutsches Gebot macht Bier gar reine. Und dieses Bier, das feine, gieß ich hineine, in einem Schluck.      Nun noch ein Ei      es ist gar hartgesotten,      dann Nummer zwei.      Möge die Salmonelle      an dieser Stelle      entfernet sein. Nun noch etwas zum Beißen. Die Packung muß ich erst zerreißen. Fest tat man sie verschweißen, uns ward verheißen: Bifi muß mit. Dann meine weiter'n Pläne: Wir wollen schlagen unsre Zähne in die gegrillten Hähne, die, wie ich wähne, gekauft im Wienerwald.      Wie innig froh      macht mich des Hähnchens Keule      sie ist halb roh.      Drum hinterher gar schnelle      der Mirabelle      klaren Schnaps. Was gibt es zum Nachtische? Ein Gervais-Quarkdessert, ich mische auf dass es mich erfrische unter Gezische Natreen hinein. Was ich nun gerne hätte, das wäre eine Zigarette. Danach eine Tablette, denn ziemlich fette war'n die Leckerei'n.      Dies Mäuerlein,      es läd mich ein zum Sitzen.      Ein Bäuerlein      sucht, während ich mich recke      und freudvoll strecke      den Weg zum Licht. Wahrlich, ich kann nicht klagen. Gesättigt ist nunmehr der Magen. Jetzt öffne ich den Kragen voller Behagen leg' ich mich. Zwischen den weichen Moosen, den Resten und Konservendosen, will ich dich nicht erbosen, ich will dich kosen inniglich.      Zuguterletzt      wirf unser'n Müll in's Wasser      Wir fahren jetzt.      Herrlich war diese Reise      nach alter Weise      in Gottes Natur.   Peter Eckert Voll daneben   für Stefanie und Walter Punktlandung heißt beim Fallschirmsprung des Schwebens Ziel beim Landen. Gebricht's dem Sprung am rechten Schwung, kommt rasch das Ziel abhanden. So folgt dem sanften abwärts Schweben der jähe Absturz - voll daneben. Der Bohrer mit zehntausend Watt dient auch dem Amateure. Er macht Beton wie Butter platt, doch trifft's die Wasserröhre, dann wird's ein echtes Happening, grad weil es voll daneben ging. Der Gatte wankt vom Trunke heim, beschwingt auf Zehenspitzen, geht bösen Frauen auf den Leim, die auf der Lauer sitzen. Ist auch die Gattin voller Groll: Er trifft daneben - und zwar voll. Es liebt das Herz Romantik pur, ob männlich oder weiblich. Doch blinder Eifer schadet nur, schnell wird es unbeschreiblich. Der Spieß wird hurtig umgedreht, dann, wenn es voll daneben geht.   Der Dichter huldigt seinem Reim, je reiner umso besser. Doch reimt er manchmal auch vorbei, man kann nicht immer treffen. Und so gesteht er ganz betreten: Ich zielte, traf, doch voll daneben. Der Melodien süßes Spiel lebt aus dem Schall der Töne. Verfolgt doch die Musik das Ziel, dass Klang die Welt verschöne. Doch trifft es weder Dur noch Moll, klingt's schräg daneben - ganz und voll. Der Künstler, wenn er musiziert, muss vorher lange proben. Beim Publikum, das applaudiert, den Künstler so zu loben, muss linke Hand zur rechten streben, Das klatscht, wenn's trifft, doch nicht daneben. P.S.:   Die Seele strebt zum Himmelslicht nach all den Erdentagen. Flugkorridore kennt sie nicht, und wagt sie nicht zu fragen, bleibt sie an Wolke sieben kleben, ganz nah dabei, doch voll daneben. aus: Heinrich Hoffmann Der Struwwelpeter Carl Michael Bellmann  (1740 – 1795) gilt als schwedischer Nationaldichter. Bei uns dürfte er wohl vor allem durch seine Lieder bekannt sein, für deren Vertonung er sich auch als Komponist betätigte. Der hier parodierte (?) Originaltext trägt eigentlich den Titel “Fredmanns Epistel No. 82 – Oder unvermuteter Abschied, verkündet bei Ulla Winblads Frühstück im Grünen, an einem Sommermorgen.” Wer ihn so übersetzt hat, konnte ich leider nicht feststellen. Für Hinweise bin ich dankbar. Gesungen wurde er (das Original natürlich) z.B. von Carl Raddatz, aber auch von Hannes Wader (LP Volkssänger) und darüber hinaus von gefühlten 10000 anderen Sängern.